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Aug 05, 2023

Die Kunst von Trumps Fahndungsfoto

Der Mann auf dem Foto blickt finster drein. Schattenlos in irgendeinem Nicht-Raum. Sein Haar ist ein Geheimnis: eine Wolke, ein Wirbel, ein Vlies aus gesponnenem Gold. Grelles Licht, leicht unscharf, keine Schärfentiefe. Es könnte sich um ein Führerscheinfoto handeln, wäre da nicht das Schild in der Ecke – „Fulton County Sheriff’s Office“ –, das dem Bild seinen Kontext verleiht. Der Blick des Mannes wurde tausendmal geübt, bevor er eingefangen wurde, und doch scheint er über seinen Mangel an Kontrolle zu brodeln. Es ist das berühmteste Foto der Welt.

Eines von 19 ähnlichen Bildern. Alles hell und seltsam verwaschen, das Licht schimmerte manchmal wie ein weißer Balken auf der Stirn des Motivs. Einige von ihnen sind so hell erleuchtet, dass sie zu verblassen scheinen; andere tragen Masken von tödlicher Blässe. Fahndungsfotos sollen lediglich das Gesicht einer Person wiedergeben, aber je genauer man hinschaut, desto mehr verschwinden die Fakten. Einige dieser Menschen scheinen aus demselben Genpool zu stammen. Ein Paar sieht aus wie Zwillinge.

Die Kritik an Fahndungsfotos lautet, dass sie schwarze und braune Menschen entmenschlichen und voreingenommen seien. Diese 19 Motive sind fast alle weiß, viele in Anzug und Krawatte, und tatsächlich haben sie etwas nicht ganz Menschliches an sich: die hochgezogenen Schultern, die tiefen Furchen in ihren Gesichtern, die blutleeren, zu einer Grimasse zusammengepressten Lippen, die Zombie-Blicke. Ein paar von ihnen lächeln, aber aus bestimmten Blickwinkeln scheinen ihre Gesichter von einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck erfasst zu sein. Das Fahndungsfoto offenbart nicht das Wesen einer Person; es lässt sie vielmehr kriminell erscheinen. Polizeibehörden sollten aufhören, sie zu verwenden. Aber was man über diese Fahndungsfotos sagen kann, ist, dass es ausnahmsweise keine Diskrepanz zwischen dem, was die Kamera des Gefängnisses auferlegt, und der Person, die diese Personen tatsächlich sind, gibt. Sie könnten sogar neu definieren, welches Bild uns in den Sinn kommt, wenn wir an das Wort „kriminell“ denken.

Das Fahndungsfoto ist ein unschönes Subgenre der Porträtfotografie. Es ist das Gegenteil eines Selbstporträts, das ein Höchstmaß an Entscheidungsfreiheit bietet. Denken Sie an Cindy Sherman. Unabhängig von der Pose wissen Sie, dass sie weiß, wie das Foto aussehen wird. Im Fahndungsfoto wird dem Motiv nur sehr wenig Spielraum eingeräumt. Köpfe können nach oben oder unten geneigt sein, aber man sieht sie immer direkt (oder früher von der Seite). Wir sehen selten viel unterhalb der Schultern. Die Opfer sind der Gnade der Polizei ausgeliefert und haben keine Ahnung, wie sie aussehen werden, und für eine bestimmte Art von bildbesessenen Menschen ist das wütend. Entstanden in der unzugänglichen Privatsphäre einer Polizeistation, sind es Bilder, die die ganze Welt sehen soll. Sie wurden für die Öffentlichkeit gemacht und gehören ihr – zum Urteilen, zum Spielen, zum Verwandeln in Memes, zum Verspotten.

Das Genre hat, wie alle Genres, seine eigenen Regeln und eine imaginäre Rhetorik. Es gibt einen Kanon berühmter Fahndungsfotos. Einige sind gerecht, ergreifend, wenn auch immer noch schmerzhaft: Martin Luther King, Rosa Parks. Es gibt Fahndungsfotos, die ikonisch (Lee Harvey Oswald), gruselig (Bill Cosby) und sogar cool (Frank Sinatra) sind. Bei allen wird ein Gesicht gezwungen, einer Kamera zu begegnen, wenn der Verschluss geöffnet oder ein digitaler Abdruck erstellt wird. Was diese 19 Konfrontationen bedeuten könnten, liegt letztlich beim Zuschauer. Schon jetzt nutzt der Mann mit dem finsteren Blick sein Porträt sowohl als Zeichen des Trotzes als auch als Zeichen der Verfolgung – ein Symbol, das so teuflisch genial ist wie der rote MAGA-Hut. Ich sehe Ghule, die korrupt und moralisch geschädigt sind. Für mich signalisieren die Bilder eine Abrechnung.

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